Leonberger Kreiszeitung (Montag, 8. Februar 2021)
„Ich habe meinen Platz gefunden.“ Tanja Kvobel erzählt so einfühlsam wie überzeugt von ihrem Beruf, der für sie Berufung ist: Bestatterin. Die 33-Jährige führt seit Herbst die Geschäfte des Bestattungshauses Anita Märtin mit Hauptsitz in Leonberg und Standorten in Stuttgart, Ditzingen sowie Renningen. Kvobel bringe an Fähigkeiten alles mit, was sie für die anspruchsvollen Tätigkeiten in der Bestattungsarbeit benötige, betont denn auch Anita Märtin, die die Firma vor 23 Jahren gründete.
Lange suchte sie nach einer Nachfolgerin mit ihren Wertvorstellungen. Als sie dann schließen wollte, meldete sich Tanja Kvobel. Diese schildert: „Ich hatte davon gehört, aber Berührungsängste mit Leichen, die von einem Schockerlebnis während meiner Ausbildung zur Altenpflegerin herrührten. Aber Anita Märtin beruhigte mich: Das verliert sich durchs Machen!“ Bereits nach einer Woche habe sie der Beruf erfüllt. „Weil ich Menschen helfen kann.“
Tanja Kvobel beschreibt, was sie in ihrer Einarbeitungszeit tief beeindruckte: Die Empathie, mit der Märtin Angehörigen in deren schweren Abschiedszeit begleitete, die Fürsorge, die sie den Verdorbenen angedeihen ließ. „Die Essenz ist, jedem Menschen einen würdigen Abschied zu gestalten – wie er oder sie es wollte, wie es die Angehörigen wünschen, in der Zeit, die sie dafür brauchen, um mit dem Verlust umzugehen.“
Das sei so individuell wie das gelebte Leben nicht in Normen zu fassen sei. „Klar gibt es Regeln wie Friedhofspflicht, die Urne darf nicht mit nach Hause. Aber beim Abschied ist vieles möglich.“ Das Spektrum reiche von der Erd-, See-, Friedwald- und Luftbestattung bis zum Pressen eines tragbaren Diamanten aus Teilen der Asche.
Sie berichtet von einer Trauerfeier mit Grabredner, bei der „Highway to Hell“ der australischen Hard Rocker AC/DC erklang. Andere Beerdigungen wiederum seien klassischer gestalten mit Pfarrer. Während man hierzulande eher schneller zu Grabe trage, wolle manche südländische Familien länger mit den Verstorbenen zusammen sein, sich feierlich mit einem guten Tropfen mehrere Tage verabschieden. Andere wiederum hielten in Ruhe Totenwache. „All das geht in unserem Abschiedshaus. Aber wir helfen auch bei Aufbahrung zu Hause.“ Und wer seine Lieben selbst für den letzten Gang waschen und kleiden wolle, der könne das ebenfalls mit den Mitarbeitern tun.
Nicht möglich ist das freilich, wenn jemand an Covid 19 gestorben ist. „Unser Hygieneplan ist streng“. Im großen Raum könnten derzeit maximal 18 Personen für eine Trauerfeier empfangen werden, im Freien bis zu 100 Personen – mit Mund-Nasen-Schutz und sozialem Abstand.
Trotz dessen dürfe Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleiben, betont Kvobel. Weil für die individuelle Zuwendung kaum Zeit gewesen sei, verließ sie einst unter anderem die Altenpflege, studierte Psychologie, bevor sie mit einem Freund eine Garten- und Landschaftsgärtnerei gründete. „Mich reizte die Selbstständigkeit“, sagt sie – und ist nun Chefin von drei Festangestellten, einem Auszubildenden und sieben Aushilfen.
Als Bestatterin kommen weitere Kompetenzen hinzu, die ihr Spaß machen: Organisation, Kreativ-Handwerkliches, Feingefühl, Kultursensibilität und Psychologie. „Bei den Erstgesprächen mit den Angehörigen gilt es achtsam herauszufinden, wie der – für alle – beste Abschied sein könnte, mitunter muss man verschiedene Ideen harmonisieren.“ Sie rät vorher die Dinge per Bestattungsvorsorge zu klären. Manche Hinterbliebene wollten es eher pragmatisch. Andere redeten über den Verstorbenen, ihre Gefühle. „Das kann schon mal vier Stunden dauern“.
Bestatter klärten auf und sein eine Stütze. Aber sie dürfen Gefühle zeigen. Das Bild von schwarz gekleideten Männern ohne Mienenspiel? “ Dieser Code ist aufgebrochen. Es ist nicht schlimm, wenn mal eine Träne fließt.“ Sie fühle mit jedem Trauenden. Besonders nahe gingen Suizide, die meist plötzlich, unerklärlich für Angehörige kämen. „Da mischt sich Trauer mit Wut und Verletztheit.“
Wie geht die Mutter von drei kleinen Kindern mit diesen Erlebnissen „24/7“ um? „Sieben Tage an 24 Stunden erreichbar sein? Das gehört zum Beruf.“ Mit der Familie klappe das meistens, sagt sie schmunzelnd, dank ihres Mannes, guter Organisation und Haushaltshilfe. Ihr Beruf ließe sie bewusster leben, dankbar sein für die Schönheit der Natur, gemeinsame Momente. „Ich hänge Unveränderlichem nicht nach, schiebe Vorhaben möglichst nicht mehr auf, sondern sage ,cape diem, , nutze den Tag, genieße den Augenblick!“
Stand: 08. Februar 2021
Von Petra Mostbacher-Dix